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Die 'Harmonik' in drei- und vierstimmigen Motetten des 13. Jahrhunderts. Eine Korpusanalyse

 

Projektdaten

Ermöglicht durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

Leiter: Prof. Dr. Frank Hentschel (Musikwissenschaftliches Institut)

Laufzeit: 36 Monate

MirarbeiterInnen: N.N. 

Beschreibung 

Die Polyphonie des 13. Jahrhunderts markiert eine zwar vorbereitete, aber dennoch frappierende Veränderung der mehrstimmigen Musikpraxis des lateinischen Mittelalters. Ohne die Bedeutung der anderen Gattungen, etwa des weiterhin existierenden Organums oder des Conductus, zu schmälern, kann die Motette im 13. Jahrhundert geradezu als Symbol der veränderten polyphonen Musik angesehen werden. Die Komplexität ihrer Struktur, die Intertextualität sowohl musikalischer als auch sprachlicher Elemente und ihre Multilingualität haben seit langer Zeit die Aufmerksamkeit der mediävistischen Musikwissenschaft auf sich gezogen. So verwundert es nicht, dass die Motetten des 13. Jahrhunderts und insbesondere jene des Kodex Montpellier in vielerlei Hinsicht sehr gut erforscht sind. Dennoch liegen weiterhin viele Aspekte der musikalischen Konstruktion der Motetten im Dunkeln. Dazu gehört auch die Harmonik. Allen erhellenden Studien zur Harmonik der Motetten zum Trotz ließe sich nicht behaupten, dass wir in der Lage wären, so etwas wie eine Kontrapunkt- oder Harmonielehre der Motette zu formulieren, also die Grammatik jener Musik hinreichend durchdrungen zu haben. In genau dieser Hinsicht möchte das hiermit beantragte Forschungsprojekt ein gutes Stück vorankommen. In dem Projekt soll methodisch die Tatsache genutzt werden, dass eine Vielzahl der Motetten den Tenor mehrfach wiederholt, während die Oberstimmen verändert werden. Denn dies erlaubt es zu untersuchen, welche Spielräume bei der "Harmonisierung" identischer Tenores genutzt wurden bzw. inwiefern die verwendeten Klänge Kriterien von Konsistenz folgen. Eine aus den Vorarbeiten abgeleitete Hypothese lautet, dass die "Harmonik" Eigenschaften der Melodiephrasen des Tenors ins Klangliche übersetzt: Anfangs- und Endtöne werden in stabile, Durchgangstöne in instabile Klänge übersetzt, rhythmische Eigenschaften werden harmonisch gedeutet. Dabei gibt es allerdings einigen Spielraum, der in vielen Motetten seinerseits planvoll genutzt wird. So gibt es Indizien dafür, dass selbst bestimmte Dissonanzen in den Wiederholungen des Tenors sogar bei differierenden Melodien in den Oberstimmen strukturell wiederkehren. Aufgespalten in Teilfragen, soll diese Hypothese anhand einer Korpusstudie geprüft oder gestützt und ggf. differenziert und ausgearbeitet werden. Das Korpus setzt sich zusammen aus den drei- und vierstimmigen Motetten mit mindestens drei Tenor-Durchläufen aus den vier wichtigen Motettenhandschriften Kodex Montpellier, Kodex Bamberg, Kodex La Clayette und Turin, Bibl. Reale, vari. 42. Für das Projekt sollen die ca. 79 Motetten mit Unterstützung digitaler Verfahren analysiert werden. Ein(e) Musikhistoriker(in) und ein(e) Mitarbeiter(in) aus den Digital Humanities werden daher eng zusammenarbeiten. 

The polyphony of the 13th century marks a prepared but nevertheless striking change in the polyphonic musical practice of the Latin Middle Ages. Without diminishing the importance of the other genres, such as the organum, which continued to exist, or the conductus, the motet in the 13th century can almost be seen as a symbol of the changed polyphonic music. The complexity of its structure, the intertextuality of both musical and linguistic elements and its multilinguality have long attracted the attention of medievalist musicology. It is therefore not surprising that the motets of the 13th century, and especially those of the Codex Montpellier, are in many respects very well researched. Nevertheless, several aspects of the musical construction of the motets remain obscure. This includes the harmony. Despite all the illuminating studies on this aspect, we still cannot claim to understand the rules or conventions of their counterpoint or harmony in any comprehensive way. It is precisely in this respect that the research project applied for here would like to make a good deal of progress. The project will make methodical use of the fact that many of the motets repeat the tenor several times while the upper voices are changed. For this makes it possible to investigate what leeway was used in the "harmonisation" of identical tenors or to what extent the sounds used follow criteria of consistency. A hypothesis derived from the preliminary work is that the "harmonics" translate characteristics of the tenor's melodic phrases into sound: Beginning and ending notes are translated into stable, passing notes into unstable sounds, rhythmic properties are interpreted harmonically. There is some leeway, however, which in turn is used in a planned way in many motets. We have evidence, for example, that even certain dissonances in the tenor's repetitions recur structurally even in the case of differing melodies in the upper voices. Divided into subquestions, this hypothesis is to be tested or supported by means of a corpus study and, if applicable, differentiated and elaborated. The corpus consists of the three- and four-part motets with at least three tenor passages from the four important motet manuscripts Codex Montpellier, Codex Bamberg, Codex La Clayette and Turin, Bibl. Reale, vari. 42. For the project, the approx. 79 motets are to be analysed with the support of digital tools. A music historian and a collaborator from the Digital Humanities will therefore work closely together.